Wie verhalte ich mich in einem Lost Place?

Von André Winternitz, 28.06.2014

Vorab sei einmal erwähnt, dass der unbefugte Zugang zu verlassenen Orten (aufgegebene oder vernachlässigte Immobilien) untersagt ist und das in diesen aufgrund des oft jahrelangen Leerstands und der Verwitterung teilweise akute Lebensgefahr besteht. Ein Betreten ohne entsprechende Genehmigung kann unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen. Das Onlinemagazin rottenplaces heißt Aktivitäten dieser Art von Drittpersonen weder gut, noch fördern jenes diese.

Es erklärt sich von selbst, dass die Würde eines Lost Places (wie bei jedem anderen Gebäude auch) in jedem Fall respektiert werden sollte. Jeder Lost Place hat eine Seele. Auch wenn Gelände oder Gebäude oft jahrelang verlassen sind, heißt dies nicht, dass sich jeder nach Lust und Laune dort austoben kann. In erster Linie sollte vor dem Betreten eines Geländes oder Gebäudes der Verstand eingeschaltet werden. Ist ein Gebäude verschlossen – also nicht zugänglich – so ist dies zu akzeptieren und respektieren. Unter keinen Umständen hat man sich hier Zutritt zu verschaffen. Werkzeuge wie Zangen, Brecheisen, Schraubendreher oder andere Gegenstände, die als „Hilfswerkzeug“ zum Einsteigen zweckentfremdet werden können, haben in einem Fotorucksack sowieso nichts verloren.

Weiter besteht in vielen Gebäuden akute Einsturzgefahr und Gefahr für das eigene Leben. Verkohlte Balken und Gebäudeteile, ausdehnende Wände, Moosteppiche und feuchte Decken, breite Risse im Fundament, morsche Holzböden, Löcher im Boden etc., deuten auf eine Instabilität hin und sollten gemieden werden. Kein Motiv – und sei es noch so atemberaubend – rechtfertigt den Einsatz des Lebens. Über die Jahre allerdings bekommt man ein gutes Gefühl und Auge für Gegebenheiten aller Art – ein Risiko jedoch bleibt immer. Beachtet werden sollten ebenfalls herunterhängende Gegenstände, rostige Nägel, Hindernisse am Boden, Scherben, Flüssigkeiten, Unebenheiten, schlecht einsehbare Breiche usw. In Lost Places steht Konzentration und Besonnenheit mit an oberster Stelle. Vorsicht auch bei ehemaligen Militärgelanden – gerade in den alten Bundesländern finden sich oft Hinterlassenschaften, die eine Gefahr für Leib und Leben nach sich ziehen können. Absperrungen sind hier also nicht ohne Grund zu finden.

Wenn eine offizielle Genehmigung zum Betreten eines Geländes oder Gebäudes vorliegt, dann wird die befugte Person, die einen Zutritt vor Ort ermöglicht, grundlegende Informationen und Regeln mitteilen, die in jedem Fall beherzigt werden sollten. Weisungen sind ebenfalls Folge zu tragen. Sind Bereiche verschlossen, so ist das keine Einladung, selbige in einer unbeobachteten Sekunde unbefugt zu öffnen. Das Mitnehmen von „Souvenirs“ oder Wertgegenständen ist nicht gestattet und stellt eine Straftat dar (§ 242 StGB).

Ob nun ein Gelände oder Objekt offiziell oder inoffiziell aufgesucht wird, Müll ist tabu. Wer Speisen oder Getränke mitbringt, der kümmert sich auch um die Entsorgung der „Überbleibsel“. Dass dort oftmals bereits Müll liegt, heißt nicht, den eigenen auch dort zu hinterlassen. Kerzen und insbesondere Teelichter sind in Lost Places ebenfalls tabu. Beide werden gerne als Lichtquelle verwendet. Die meisten aber unterschätzen die Brandgefahr, die gerade an solchen Orten – nicht nur in den trockenen Sommermonaten – gegeben ist. Brände durch Kerzen und Teelichter entstehen nahezu immer durch leichtsinnigen oder nicht sachgemäßen Umgang mit den Produkten. Zudem werden die Überreste gerne an diesen Orten wo sie eingesetzt wurden zurückgelassen – so fällt auf Dauer viel Müll an. Empfehlenswert sind zur richtigen Ausleuchtung diverse Taschenlampen – aber auch hier gilt: Leere Batterien werden nicht zurückgelassen. Die Geräuschkulisse ist ebenfalls zu beachten – man befindet sich nicht an einer Rennstrecke, sondern in einem Lost Place. Denn häufig befinden sich in unmittelbarer Nähe bewohnte Gebäude.

In vielen Lost Places findet man einen enormen Vandalismus vor. Ob Graffitischmierereien, eingeschlagene und eingetretene Fenster, Türen, Wände, zerstörtes Inventar und mehr, der Schaden ist immer immens. Eigentümer haben deshalb immer das Nachsehen und deren harte Reaktionen und nicht erteilte Genehmigungen sind nachzuvollziehen. Denn diese haben solche Schäden im Regelfall nicht (oder nicht mehr) versichert, da selbige nur in Premium-Policen oder als Zusatzbausteine abgedeckt sind – soll heißen: sie bleiben auf den Schäden sitzen, denn die Verursacher werden leider meistens nicht gefasst.

So normal das für die Meisten auch klingen mag, zu häufig wundert man sich über das Verhalten und die Entgleisungen der Mitmenschen – die meinen ihre eigenen Regeln und Gesetze aufstellen zu wollen oder geltende erst gar nicht beachten. Auf vielen Webseiten von Fotografen, in Foren oder in entsprechenden Gruppen in sozialen Netzwerken wird oft die Phrase „Take only photos – leave nothing but footprints (Mache nur Fotos, hinterlasse nichts als Fußspuren; häufig in Verbindung mit „Urban Explorern“ als „Urbex-Kodex“ bezeichnet)“ zitiert. Doch eigentlich sollte ein respektvolles Verhalten an solchen Orten (Fremdeigentum!) doch selbstverständlich für jedermann sein. Da jedoch viele Personen aus den unterschiedlichsten Zielgruppen, die sich an diesen Orten aufhalten, über eine erbärmliche Kinderstube verfügen, muss man sich über nichts mehr sonderlich wundern.

In vielen Quellen, also Berichten in Print- und Onlinemedien – in denen es um sogenannte „Urban Explorer“ geht, ist vom Straftatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) zu lesen. Oftmals werden dem Leser hier abenteuerliche Geschichten präsentiert, die so nicht der Wahrheit entsprechen. Fakt aber ist: Bei Lost Places handelt es sich (fast) immer um befriedete Besitztümer – also Bereiche, die in äußerlich erkennbarer Weise durch Umgrenzungen gegen willkürliches Betreten gesichert sind. In der Rechtswissenschaft ist jedoch umstritten, wie stark der Befriedungsschutz sein muss (Mauer, Absperrung, Zaun). Beim Betreten von militärischen Geländen – auch wenn diese verlassen und ungenutzt sind – wird immer der Vorwurf des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) laut. So selten diese beiden Straftatbestände auch in Deutschland gegenüber Fotografen bis zum Urteil verfolgt werden (Eigentümer unklar oder mangelhafte Objektsicherungspflicht etc.), so empfehlenswert ist jedoch in jedem Fall – wie eingangs erwähnt – im Vorfeld eine explizite Genehmigung zum Betreten dieser Gelände sowie eine entsprechende Fotogenehmigung einzuholen.

Es erklärt sich von selbst, dass Naturschutzgebiete nicht betreten werden dürfen, es sei denn, sie wurden der Allgemeinheit zugänglich gemacht und sind somit explizit ausgewiesen (BNatSchG). Ebenso wichtig ist die Beachtung der Schonzeiten – diese ist meist die ersten Monate eines Jahres bis hin zum Frühling gültig. Auch sonst sind der Tierschutz und die Brutzeiten zu beachten. Gerade in Höhlensystemen oder speziell ausgewählten Lost Places sind häufig Fledermäuse angesiedelt. Deren Schutz sollte (muss) das Bestreben eines jeden sein. Beim Durchwandern eines Waldgebietes gilt es, den Flurschaden so gering wie möglich zu halten und lieber entsprechende Wege zu nutzen.

Wer also einige selbstverständliche Regeln beachtet, der wird lange Freunde an der Lost Place Fotografie haben. Allzeit gutes Licht!