Faszination Prora – Vom KdF-Seebad zum exklusiven Feriendomizil

Foto: Metropole Marketing GmbH

Binz/Prora (aw). Prora liegt direkt an der Ostseeküste im Zentrum der Prorer Wiek und ging aus dem zwischen 1936 und 1939 gebauten, jedoch unvollendet gebliebenen KdF-Seebad Rügen hervor. Prora ist heute ein staatlich anerkannter Erholungsort. 2018 übergab Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) die Ernennungsurkunde. Der 4,5 Kilometer lange Stahlbetongigant an Proras Ostseestrand (Landkreis Vorpommern-Rügen) hat sich über die letzten Jahre massiv gewandelt. Nicht mehr viel ist zu sehen von der ehemaligen KdF-Legebatterie und dem späteren DDR-Militärstandort. Erbaut wurde der Koloss zwischen 1935 und 1939. Dort wo 20.000 Menschen über die NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) urlauben sollten, haben Privatinvestoren Hunderte Ferien- und Eigentumswohnungen entstehen lassen.

Am Bau der gigantischen Anlage waren entsprechend der Angaben der Historikerin Susanna Misgajski, die das Prora-Zentrum leitet, 500 bis 600 Zwangsarbeiter am Bau beteiligt. Katja Lucke vom privaten Dokumentationszentrum Prora erwähnt, dass man nicht bagatellisieren dürfe, was es mit diesem Bau auf sich hat. Sie erinnert, dass gerade angesichts des Erstarkens der Rechtspopulisten in Mecklenburg-Vorpommern zwingend notwendig ist, dass es neben Wellnessclubs und Latte-Macchiato-Cafés weiterhin auch eine Bildungsstätte in Prora gibt. Gleichwohl hält es Lucke zugute, dass Investoren den Betonkoloss mit sensibler Geschichte vor dem endgültigen Verfall bewahren werden.

Aber es gibt auch Gegenstimmen. Zahlreiche Bürger*innen teilen den Gedanken, dass es in der Bundesrepublik genug Gedenkstätten gibt. Viele sind froh, dass aus dem Betonklotz mit der schwierigen Vergangenheit endlich eine Lösung gibt. Und bisher haben die Investoren ein rentableres Geschäft mit den Appartements in den sanierten Blöcken gemacht. Die niedrigen Kreditzinsen und die Steuervorteile wegen des Denkmalschutzes spielen dem Immobilienverkäufer in die Hände.

Dokumentationsstätte 2010. Foto: rottenplaces Archivfoto

Anfang März 2020 wurde bekannt, dass der Südteil des Blockes 5 an die Bauart GmbH verkauft wurde. Diese bestätigte, in dem rund 300 Meter langen Gebäudeabschnitt rund 180 bis 200 Dauerwohnungen entstehen lassen zu wollen. Das Unternehmen, das bereits den Block 4 sanierte, möchte in den nächsten Jahren rund 60 Millionen Euro in die Sanierung von Block 5 investieren. Der Nordteil des Gebäudeblocks ist langfristig an das Deutsche Jugendherbergswerk verpachtet, der Kreis bleibt weiterhin Eigentümer des etwa 40 Meter langen Mittelteils. Hier soll ein von Historikern seit langem gefordertes Bildungs- und Dokumentationszentrum entstehen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern möchte diesen letzten Block jetzt kaufen.

Geschichte

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde von der Staatsführung eine umfangreiche, ideologisch besetzte Sozialpolitik betrieben. Eines der Kernelemente dieser Politik war die Organisation Kraft durch Freude (KdF), die durch Projekte wie den KdF-Wagen und günstigen Urlaub den allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung heben sollte. Neben Kreuzfahrten auf KdF-eigenen Schiffen war der Bau von insgesamt fünf Seebädern für jeweils 20.000 Menschen geplant, die es der Bevölkerung ermöglichen sollten, günstig und propagandistisch kontrolliert bzw. beeinflusst jeweils zwei Wochen im Jahr Urlaub zu machen. Das einzige in Teilen realisierte Projekt aus diesem Plan ist das KdF-Seebad Rügen, Prora. Die dafür benötigten Flächen wurden durch die KdF-Organisation bereits 1935 von Malte zu Putbus erworben. Die Grundsteinlegung erfolgte am 2. Mai 1936, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Ausschreibung für das Bauvorhaben noch lief. Der Termin war aber bewusst so früh gewählt worden, da es sich um den symbolträchtigen dritten Jahrestag der Gewerkschaftszerschlagung handelte. Die eigentlichen Arbeiten begannen erst ein halbes Jahr später.

In den drei Jahren zwischen 1936 und 1939 wurden die acht Gästeblöcke errichtet. Neun renommierte Baufirmen (Philipp Holzmann, Hochtief, Dyckerhoff & Widmann, Siemens-Bauunion, Boswau & Knauer, DEUBAU, Sager & Woerner, Polensky & Zöllner, Beton- und Monierbau) waren an den Bauarbeiten beteiligt, es arbeiteten zeitweise 9.000 Bauarbeiter am KdF-Seebad Rügen. Außer der Firma Sager & Woerner (Bau der Kaianlage) errichteten alle anderen beteiligten Baufirmen jeweils einen Block, es entwickelte sich dabei eine Art Wettbewerb um die schnellste Bauleistung. Bereits in der damaligen Zeit fanden die Bauarbeiten internationale Beachtung. So wurde bei der Weltausstellung 1937 in Paris ein Modell des Seebades Prora mit einem Grand Prix ausgezeichnet.

Bei Kriegsbeginn 1939 wurden die Bauarbeiten weitgehend gestoppt. Mit Ausnahme eines Blocks waren die acht Wohnblöcke, die südliche Festplatzrandbebauung und die Kaianlage bereits im Rohbau fertiggestellt, nicht jedoch die Schwimmbäder, die Festhalle und weite Teile der Wirtschaftsgebäude. Sie wurden niemals verwirklicht. An den Rohbauten wurden noch die nötigsten Sicherungsarbeiten durchgeführt, dann wurden die Bautätigkeiten endgültig eingestellt. Das bereits angelieferte Baumaterial verblieb aber vor Ort, was auf eine geplante Wiederaufnahme der Arbeiten nach Kriegsende schließen lässt.

Im Krieg diente die Anlage als Ausbildungsstätte für Luftwaffenhelferinnen und ein Polizeibataillon. 1943 wurden Teile der südlichen Blocks ausgebaut, um Ersatzquartiere für im Rahmen der Operation Gomorrha ausgebombte Hamburger zu schaffen. Ab 1944 diente Prora der Wehrmacht als Lazarett und gegen Ende des Krieges fanden dort auch Flüchtlinge aus den Ostgebieten eine Bleibe.

Als ab Mai 1945 die Sowjetunion die Kontrolle auf Rügen übernahm, wurde die Anlage zur Internierung von Grundbesitzern und weiterhin zur Unterbringung von Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten genutzt. Teile der Anlagen wurden für den Abtransport als Kriegsreparationen demontiert. Zwischen 1948 und 1953 wurden die Bauten von der Roten Armee genutzt, die den südlichsten Rohbau sprengte und abtrug. An den beiden nördlichsten Häuserblocks wurden ebenfalls Sprengübungen durchgeführt. Die Bauten wurden dabei aber nur schwer beschädigt und blieben teilweise stehen. Stationiert war hier die sowjetische 13. Panzerjäger-Brigade.

Im Inneren 2013. Foto: privat

Die nach 1949 ebenfalls eingezogene Kasernierte Volkspolizei, aus der 1956 die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR hervorging, nutzte die Gebäude als Kaserne und erklärte das umliegende Gebiet zum Sperrgebiet. Die entsprechenden Umbauten waren 1956 abgeschlossen, danach wurden in Prora bis zu 10.000 Soldaten stationiert. In dem Komplex befand sich die Technische Unteroffiziersschule „Erich Habersaath“ der NVA, außerdem wurden seit 1981 Soldaten aus politisch befreundeten Entwicklungsländern wie Angola und Mosambik an der Offiziershochschule für die Ausbildung ausländischer Militärkader „Otto Winzer“ ausgebildet. In den 1980er Jahren waren in Prora bis zu 500 Bausoldaten zeitgleich stationiert, die beim Bau des in der nördlichen Umgebung des Objektes gelegenen Fährhafens Mukran arbeiteten. Der südlichste Teil der Anlage stand Angehörigen von NVA und Grenztruppen als Erholungsheim (benannt nach Walter Ulbricht), Kinderferienlager und Ferienort zur Verfügung.

Nach der Deutschen Wiedervereinigung 1990 übernahm die Bundeswehr, stellte die Nutzung Ende 1992 ein und verließ Prora. Seit Anfang 1993 ist die Anlage öffentlich zugänglich. Da die unter Denkmalschutz stehenden Bauten zunächst nicht durch die Bundesvermögensverwaltung verkauft werden konnten, wurden an weiten Teilen der Anlage nur die unbedingt erforderlichen Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Ansonsten wurden die leerstehenden Bauten dem Verfall und Vandalismus preisgegeben. Eine Ausnahme hiervon bildete zunächst nur der Block 3, Prora Mitte, der von 1995 bis 2005 die Museumsmeile Prora mit einem KdF-Museum (Museum Prora), Museum der NVA, Rügen-Museum und diversen Sonderausstellungen, die Bildergalerie Rügenfreunde und ein Wiener Kaffeehaus beherbergte. Ein von Prof. Joachim Wernicke betriebenes „Museum zum Anfassen“ ist 2004 geschlossen worden wie ein dort ebenfalls ansässiges Boxsportmuseum.

Zwischen 1993 und 1999 befand sich hier die größte Jugendherberge Europas, ab 2002 das One World Camp Youth Hostel mit günstigen Übernachtungsmöglichkeiten, dessen Mietvertrag im Hinblick auf mögliche Verkäufe aber nicht verlängert wurde. Vom 22. bis 24. August 2003 fand dort unter dem Motto „Wer, wenn nicht wir! Wo, wenn nicht hier!“ ein vom Land Mecklenburg-Vorpommern organisiertes und finanziertes Wochenend-Sommerfest (Prora03) mit rund 15.000 internationalen Teilnehmern statt. 2006 fand vom 30. Juni bis zum 2. Juli eine Neuauflage dieser Veranstaltung unter dem Titel Prora06 statt. Neben dem ehemaligen Theater betreibt die „Stiftung Neue Kultur“ seit dem Jahr 2000 das Dokumentationszentrum Prora, das eine Dauerausstellung beherbergt und Wechselausstellungen anbietet.