Seilablaufanlage Rangierbahnhof Chemnitz-Hilbersdorf

Sie gilt als die einzige Seilablaufanlage Europas, das Ensemble am Rangierbahnhof Chemnitz-Hilbersdorf – 1902 errichtet – bestehend aus dem ehemaligen Spannwerk und dem Befehlsstellwerk 3. Der Ingenieur Edmund Frohne entwickelte das Konstrukt, mit der die Züge und Waggons auf dem rund 250.000 Quadratmeter großen Gefällebahnhof ohne Lokomotiven (Loks) rangiert werden konnten. Damals galt die Arbeit an der Seilablaufanlage als äußerst anspruchsvoll und gefährlich. Denn überall rollten Waggons und Loks, wurden Weichen manuell gestellt und positionierte Wagen mit Hemmschuhen gebremst. Mächtige Motoren im Maschinenhaus trieben die Anlage an. 1930 wurde die Anlage modernisiert, doch die Gefahr blieb. Zu damaligen Zeiten war jeder sechste Chemnitzer bei der Bahn beschäftigt.

1991 nimmt die Deutsche Reichsbahn die Anlage außer Betrieb. Nur noch kurze Zeit werden die Waggons hier mit Loks rangiert, 1996 ist auch damit Schluss. Noch bevor der Denkmalschutz greifen kann, werden die Gleise demontiert und verschrottet. Das Befehlsstelwerk und das Bahnbetriebswerk (Bw) wird vom Sächsischen Eisenbahnmusem übernommen – hier finden über die Jahre diverse Loks, Waggons und Bahnutensilien eine neue Heimat. Der zunehmende Verfall der Gebäude führte zur Gründung des Fördervereins „Eisenbahnfreunde ‚Richard Hartmann‘ Chemnitz“. Mit großem Aufwand und einer enormen Arbeitsleistung sorgten die Mitglieder über die Jahre für eine liebevolle Konservierung des Befehlsstellwerks. Dieses ist heute mit seinen Maschinen, die die Seilablaufanlage antrieben, kann heute zum Tag des offenen Denkmals oder vereinbarten Terminen besichtigt werden.

Damit der Förderverein die Seilablaufanlage nicht nur theoretisch erzählen kann, baut dieser eine 300 Meter lange Demonstrationsstrecke nach um die Technologie der Nachwelt anschaulich näher zu bringen. Die Dresdner Parkeisenbahn sorgt für die notwendigen Schienen. Die Einweihung fand am 5. Mai 2012 statt. Ein weiterer Erfolg der zumeist ehrenamtlich Tätigen ist die Tatsache, dass bis zu 650 Meter Gleise zum Maschinenhaus verlegt werden konnten. Heute ist das Befehlsstellwerk saniert. Der Förderverein leistete über viele Jahre Tausende Arbeitsstunden – das Ergebnis ist mit Worten nicht zu beschreiben. Unterstützt wurden die Tätigen vom sächsischen Landesdenkmalamt, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und dem Bund.

2014 würdigte das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz die Bemühungen mit der Verleihung der Silbernen Halbkugel. Auf dem ehemaligen Rangierbahnhof Chemnitz-Hilbersdorf präsentiert das Technikmuseum Seilablaufanlage heute die wahrscheinlich einzige erhaltene Anlage zur Auflösung von Güterzügen ohne Loks.

Funktion der Seilablaufanlage

Sofort, wenn Züge mit ihren Waggons den Gefällebahnhof (später Rangierbahnhof) erreichten, wurden diese von der Lok ab- und an einen Seilwagen angekoppelt. Somit wurde sichergestellt, dass diese im Schritttempo weiterrollen konnten. Erreichten diese den zuvor festgelegten Abhängepunkt, wurden sie nacheinander voneinander gelöst. Nachdem diese Wagen nach der Lösung einzeln auf parallel verlaufende Gleise gerollt waren, erreichten sie die Gleisharfe. Hier stellten Bahnbedienstete neue Zugeinheiten zusammen. Bis dahin mussten die Bediensteten immer wieder Hemmschuhe einsetzen um die Waggons zu bremsen. Das Kommando hatte der Ablaufmeister, der im Befehlsstellwerk 3 eingesetzt war.

Der Ablaufmeister startete, wenn benötigt, einen Generator, der die drei Antriebsmotoren der Seilablaufanlage antrieb und mit Strom versorgte. Die Ablaufseile verliefen bis zum Spannwerk unterirdisch und liefen mit der erforderlichen Vorspannung von 10.5 Tonnen zu den Seilwagen. War ein Seilablauf für eine Einheit beendet, erhielt der Ablaufmeister ein entsprechendes Signal. Weil die Kontrollfunktion des Befehlsstellwerks so aufwendig war und eine enorme Konzentration wie in einem Flughafentower erforderte, musste der Diensthabende alle fünf Stunden abgelöst werden.

Technikmuseum Seilablaufanlage
Eisenbahnfreunde Richard Hartmann Chemnitz e.V.
An der Dresdner Bahnlinie, 09131 Chemnitz
www.technikmuseum-seilablaufanlage.de

Dokument-Information
Objekt ID: rp-033482
Kategorie: Bahnanlagen
Bundesland: Sachsen
Standort: Frankenberger Straße 172, 09131 Chemnitz
Baujahr: 1930
Denkmalschutz: ja
Bauherr: keine Angabe
Objekt erfasst: 29.12.2016
Objekt erstellt: 09.05.2018
Letzte Änderung: 09.05.2018
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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.