NAPOLA Ballenstedt

Ehemalige Napobi in Ballenstedt. Foto: rottenplaces Archivfoto

Es ist ein ungeliebtes Denkmal, der gigantische Gebäudekomplex der ehemaligen Nationalpolitischen Bildungsanstalt (Napobi, auch Nationalpolitische Erziehungsanstalt – NPEA, oder Nationalpolitische Lehranstalt – Napola) auf dem großen Ziegenberg in Ballenstedt. Erbaut wurde das Ensemble als einziger Naubau 1936 von den Nationalsozialisten als Prototyp, die diesen als Eliteinternat betrieben. 1941 gab es im Deutschen Reich 30 Einrichtungen mit insgesamt 6.000 Schülern, zwei für Mädchen lagen auf besetztem Gebiet. Zum Kriegsende gab es 43 NPEAs, davon waren drei speziell für Mädchen. 350 Schüler waren jeweils bis 1945 in Ballenstedt untergebracht. Hier sollten sie mittels einer „totalen Pädagogik“ den neuen erzieherischen Geist der Napola verinnerlichen, um für den Dienst an Volk und Staat zu besonders tüchtigen Nationalsozialisten herangebildet zu werden. Als Vorbild dienten die englischen „Public Schools“ und die preußischen Kadettenanstalten. Reichserziehungsminister Bernhard Rust – dem alle Napolas unterstanden, legte nicht die höchste Priorität auf das Schulen von Wissen, sondern den auf das „Heranzüchten kerngesunder Körper“.

Napolas waren Ausleseschulen, zu deren Ausbildung man vorgeschlagen werden konnte. Diese Aufgabe hatten sowohl die Schulen, in denen die Kinder bereits waren inne, aber auch Erzieher oder Funktionäre der Partei in denen potenzielle und infrage kommende Schüler Dienst taten. Aber auch als besonders reinrassig geltende und politisch treu funktionierende Elternhäuser fielen in diese Auswahlverfahren. Voraussetzung for die Aufnahme war „arische Abstammung“, einwandfreie Charaktereigenschaften, Erbgesundheit, volle körperliche Leistungsfähigkeit und überdurchschnittliche gesitige begabung. Somit sollte eine Elite zu rekrutiert werden, die in den Internats-Oberschulen ihre Ausbildung erhalten konnten. Die Schüler trugen stets Uniform. Besonderer Wert wurde auf Sport gelegt: Frühsport vor dem Frühstück, Leichtathletik, Handball, Schwimmen, aber auch Boxen, Rudern, „Geländesport“ im Wald mit Einführungen ins Karten- und Kompasslesen und militärische Tarnung. Auch auf die Aufwertung „deutschkundlicher“ Fächer wie Deutsch, Erdkunde, Geschichte und Biologie wurde konsequent geachtet. Oberstufenschüler erhielten einen Ehrendolch mit der Gravur „Mehr sein als scheinen“.

Der Drill begann bereits beim Betreten der beiden Bettenhäuser. Schülern der Klassen (in den Napolas Züge genannt) war es strengstens untersagt, mit Straßenschuhen die „Zugbereiche“ zu betreten. Vor jeder Mahlzeit wurden Hände, Fingernägel, Haare und andere Merkmale kontrolliert. Im Speisesaal ging es militärisch zu. Schüler mussten sich möglichst geräuschlos, mit der rechten Hand den Stuhl unterschiebend, auf Befehl an die Tische setzen. Häufig wurde dies mehrfach praktiziert. Der Tagesablauf war für die Schüler straff und streng organisiert – jegliche Form von Individualismus untersagt. Auf den fachlichen Unterricht am Vormittag folgte nachmittags der „Dienst“ – also Hausaufgaben, Sport- und Wehrsportübungen und der Abendappel. Zur Haltungsschulung wurden Leibesübungen mit dem sekundären Tagslehrplan verknüpft, die später zum Hauptfach avancierten. Durch Angebote wie Segelfliegen, Skifahren, Motorradfahren, Fechten, Boxen, Reiten und in verschiedenen Handwerken wurden die Napolas zu attraktiven Ausbildungsstätten.

Mit dem Ende des Dritten Reiches löste sich die Napola Ballenstedt auf, die Rote Armee übernahm den Komplex. 1949 – mit Gründung der DDR zog die SED ein und funktionierte das Gelände zu einer Fortbildungsstätte um, genauer zur SED-Bezirksparteischule für den Bezirk Halle. Mit Buchhandlung, Gaststätte und Konsum hatten die Schüler alles, was wünschenswert war, ein Gang hinab in die Stadt nicht notwendig. Auch Ärzte kamen zu Sprechstunden auf das Gelände. Zutritt zum bewachten Komplex (von den Ballenstedtern „Kreml“ genannt) erhielt nur, wer zugehörig war, für alle anderen war unten am Berg Schluss. Während der Woche wohnten die Lehrgangsteilnehmer in den umgestalteten Bettenräumen der ehemaligen Jungmannen.

In der Parteischule sollten zukünftige Führungskräfte ideologisch ausgebildet werden. Jeder, der Funktionsämter in Partei, Staat oder Betrieben übernehmen wollte, musste an den zehnmonatigen Lehrgängen teilnehmen. Vor dem Beginn der Lehrgänge mussten die Teilnehmer einen Treueeid auf die SED ablegen, um somit die bedingungslose Ausführung der Anordnungen der Partei zu bestätigen. Dafür wurden seitens der Partei bessere Aufstiegschancen und ein höheres Einkommen versprochen. Bis 1989 absolvierten über 16.000 Menschen die Parteilehrgänge der „Bezirksparteischule Wilhelm Liebknecht“. Auf dem Lehrplan stand die für die DDR typische marxistische, leninistische Philosophie und Ökonomie, die Geschichte Deutschlands sowie Parteiaufbau und Parteileben. Am Ende des Lehrgangs beurteilten Lehrkräfte die Teilnehmer und entschieden so über den weiteren Karriereweg. Im Lektionssaal wurden Kongresse, Musik- und Kulturveranstaltungen, Kinoabende sowie Auszeichnungen abgehalten.

Auf dem Dach des Glockenturmes betrieb die SED eine Funkanlage, von der – wie sich später herausstellte – zwei Antennen von der Staatssicherheit genutzt wurden. Bis heute ist nicht bekannt, was die Stasi mit dieser Methode bezweckt hatte. Denn die hatte beim Abzug alle Technik, Materialien und Unterlagen heimlich weggeschafft. Die Ballenstedter vermuteten auf dem Ziegenberg lange Zeit eine Stasi-Zentrale oder andere gefürchtete Einrichtungen. Als diese nach dem Mauerfall das Gelände betreten durften, waren alle potenziellen Zeugnisse längst verschwunden.

Nach der politischen Wende nutzten diverse Fachschulen bis 2005 die seit den neunziger Jahren unter Denkmalschutz stehenden Gebäude. Sportvereine wandelten den ehemaligen Speisesaal in eine moderne Sporthalle um und sind nach wie vor hier präsent. Im ehemaligen Pförtnerhaus möchte der Verein „Forum Großer Ziegenberg – Ballenstedt am Harz e.V. ein Dokumentationszentrum einrichten. In dem als „Lernort Großer Ziegenberg“ sollen beide Epochen des Geländes zu sehen sein – die Zeit des Nationalsozialismus und die der DDR. Einem Investor gehört der Hauptteil mit Glockenturm, der Stadt der andere Teil. Spruchreife Planungen für das 40 Hektar große Gelände gibt es keine. Die Zeit läuft, denn Verfall und Vandalismus sorgen für einen konsequenten Niedergang eines Ensembles mit einer tiefen und weitreichenden Geschichte.

Quelle: Das Erbe der Napola (Hamburger Edition), Wikipedia, privat

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Dokument erstellt am 24.03.2015
Letzte Änderung am 24.03.2015

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André Winternitz, Jahrgang 1977, ist freier Journalist und Redakteur, lebt und arbeitet in Schloß Holte-Stukenbrock. Neben der Verantwortung für das Onlinemagazin rottenplaces.de und das vierteljährlich erscheinende "rottenplaces Magazin" schreibt er für verschiedene, überregionale Medien. Winternitz macht sich stark für die Akzeptanz verlassener Bauwerke, den Denkmalschutz und die Industriekultur.