Überhorizontradar DUGA – Der Specht des Kalten Krieges

DUGA nahe Tschernobyl. Foto: Ingmar Runge/CC BY 3.0

Kein Bauwerk in und um die Sperrzone von Tschernobyl ist so markant wie die Anlage der Empfangsantenne des DUGA-Radarsystems. Es besteht aus zwei Einzelanlagen, dutzenden Großantennen und befindet sich in der unmittelbaren Nähe des ehemaligen Kernkraftwerks Tschernobyl. Die größere Antenne ist etwa 450 Meter lang und rund 150 Meter hoch, die kleinere Antenne rund 250 Meter breit und etwa 80 Meter hoch. Eine schmale, kilometerlange Betonplattenstraße führt durch einen dichten Nadelwald direkt zu einem verlassenen Militärgelände.

Niemand kannte bis zum Untergang der Sowjetunion die genaue Funktion dieses Konstrukts aus dem Kalten Krieg. Bis zum Fall des föderativen Einparteienstaates wurde hier ein sowjetisches Überhorizontradar (OTH, Over The Horizon) vermutet, was sich später auch bestätigte. Die verwendeten Frequenzen liegen meist im Kurzwellenbereich und damit weit unterhalb der üblichen Radarfrequenzen (Mikrowellenbereich), dadurch sinken die Auflösung und die Ortungsgenauigkeit.

Bei der imposanten Empfangsantenne handelt es sich um eine Anlage vom Typ DUGA, die Teil des sowjetischen Raketenabwehrsystems des Verteidigungsministeriums der UdSSR waren. Mit diesen Antennen sollte ein möglicher Start von Raketen im europäischen und amerikanischen Raum frühzeitig erkannt werden. Aufgrund der hohen Sendeleistung der DUGA-Anlagen und aus der Pulsfrequenz von 10 Hz lässt sich eine Entdeckungsreichweite von weit über 10.000 Kilometern ableiten.

Die DUGAs wurden vor allem als „Woodpecker“ (deutsch: Specht) bezeichnet, weil das Kurzwellensignal sich wie ein scharfes Klopfen anhörte, das sich in der Regel mit einer Frequenz von 10 Hz wiederholte. Die zufälligen Frequenzwechsel störten den öffentlichen Rundfunk sowie Funkamateure und waren zwischen Juli 1976 und Dezember 1989 weltweit auf Radiofrequenzen zu hören.

Um den potenziellen Feind zu irritieren, wurde das DUGA nahe des Kraftwerks von den Sowjets als „Tschernobyl 2“ bezeichnet. Die Anlage (wie beide anderen DUGAs auch) unterlag strengster militärischer Geheimhaltung. Bei der NATO wurden die Anlagen unter dem englischen Begriff „Steel Yard“ geführt. Die Bevölkerung und Funker verwendeten die Bezeichnung „Russian Woodpecker“, wegen des spechtähnlichen Klopfgeräusches im Radioempfang. In der ehemaligen Sowjetunion gab es drei Standorte mit DUGA-Anlagen, neben dem DUGA nahe des Reaktors standen zwei DUGAs nahe Mykolajiw und Komsomolsk in der südlichen Ukraine. Produziert wurde der hoch legierte und mit einer Zinkschicht überzogene Stahl für die Anlage in Weißrussland.

Im Zuge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 musste das DUGA aufgegeben werden. Erst dann gelangten technische Details und Fotos an die Öffentlichkeit. Bis dahin rankten sich zahlreiche Mythen und Theorien um den Zweck. Unter anderem vermutete man den Zweck der Beeinflussung des menschlichen Bewusstseins der sowjetischen Bevölkerung, aber auch die Funktion der Anlage als Geowaffe für die Wetterbeeinflussung. Auch der Mythos, die Nuklearkatastrophe wäre durch das DUGA ausgelöst worden, hielt sich hartnäckig. Der Vorwurf der Funker, die Anlage sollte den westlichen Rundfunk stören, wurde widerlegt, als auch Radio Moskau von Störungen betroffen war.

Die Wahl des Standortes der Anlage nahe Tschernobyl war bewusst gewählt worden. Denn neben der strengen Bewachung gab es reichlich Strom direkt von der Quelle – ohne Unterbrechung versteht sich. Die anderen Anlagen waren nach dem Kalten Krieg größtenteils entfernt worden. Das DUGA geriet aufgrund der Nuklearkatastrophe in die 30-Kilometer-Sperrzone. Viele Jahre war die Strahlenbelastung hier extrem hoch. Heute hat sich diese normalisiert und legt etwa auf dem Niveau der natürlichen Umgebungsstrahlung.